Bayerische Geschichte(n), 10/2014: Mit aller Energie gegen Nachlässigkeiten

Die offiziellen Postkarten aus Puchheim sollten die Kriegsgefangenschaft verharmlosend darstellen.
Die offiziellen Postkarten aus Puchheim sollten die Kriegsgefangenschaft verharmlosend darstellen.

Liebe Leserin, lieber Leser,

eine Gesandtschaft der spanischen Botschaft inspizierte im November 1915 das Kriegsgefangenenlager Puchheim bei München, denn Spanien vertrat als neutraler Staat im Ersten Weltkrieg die Interessen Frankreichs gegenüber Deutschland. Die Kontrolleure hatten jedoch nichts zu beanstanden und berichteten: „Außer den Schlafbaracken besitzt das Lager zwei Bäckereien und Kantinen, ein Theater, Schneider- und Schuhmacherwerkstätten, Bäder, Brausebäder, Krankenabteilung, Waschhaus, Kapelle, Desinfektionszimmer, Baracken, die für die Verteilung der Postpakete dienen, 20 Küchen und Läger. Vier besondere Küchen werden bald fertiggestellt sein, welche ausschließlich für die französischen Soldaten dienen sollen, damit sie sich die Sendungen mit Lebensmitteln, die sie erhalten, nach eigenem Belieben würzen können.“

Für diese Postkarte posierten die Gefangenen für den Fotografen in der Revierbaracke 71, in der man ein Malatelier eingerichtet hatte.
Für diese Postkarte posierten die Gefangenen für den Fotografen in der Revierbaracke 71, in der man ein Malatelier eingerichtet hatte.

Die offiziellen Bildpostkarten zeigten die Kriegsgefangenen nicht nur beim Kartoffelschälen oder beim Friseur, sondern auch beim Fußballspielen, mit Musikinstrumenten oder sogar mit der Palette vor der Leinwand. Die Wirklichkeit dürfte jedoch anders ausgesehen haben. Bei einer Arbeitszeit von acht bis zehn Stunden an sechs Tagen in der Woche war die verbleibende Freizeit ohnehin knapp. Der Kommandant schränkte 1916 die Möglichkeiten weiter ein: „Das Verhalten der Kriegsgefangenen hat in letzter Zeit trotz mehrfacher Mahnungen und Belehrungen zu ständigen Klagen Anlass gegeben. Arbeitsverweigerung, anmaßendes Auftreten, namentlich seitens der franz. Gefangenen, sind an der Tagesordnung. (…) Ich entziehe deshalb bis auf weiteres den Gefangenen an Vergünstigungen: 1. Theaterspiele, 2. Fuss- und Faustballspiele, 3. Die Benützung der Revierbaracke 71 als Musik- und Malerzimmer.“

Der Soldat Grau, einer der deutschen Bewacher, fertigte satirische Zeichnungen als Bildpostkarten, die wie hier als „Offensive in Puchheim 1916“ die Flucht von zwei französischen Soldaten zeigen.
Der Soldat Grau, einer der deutschen Bewacher, fertigte satirische Zeichnungen als Bildpostkarten, die wie hier als „Offensive in Puchheim 1916“ die Flucht von zwei französischen Soldaten zeigen.

Auch Flucht und Fluchtversuche gehörten natürlich zum Lageralltag. Die deutschen Bewacher hatten dies mit allen Mitteln zu verhindern. So sollten etwa die Bekleidung und Ausrüstung der Gefangenen, ihre Habseligkeiten und Unterkunftsräume beim Einrücken vom Arbeitseinsatz nach verbotenen Gegenständen durchsucht werden. Aber auch das Verhalten der Wachleute „gibt fortwährend zu Klagen Anlass, denn die dabei zu Tag tretende Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit spottet jeder Beschreibung“, kam es donnernd in Form eines weiteren Lagerbefehls aus der Kommandantur. Es wurde deswegen ein „Dienstgrad“ abgestellt, „dessen einzige Aufgabe darin besteht, den Wachdienst zu beaufsichtigen“ und „mit aller Energie gegen Nachlässigkeiten einzuschreiten“.

Erich Hage und Ellen Echtler beleuchten in ihrem Buch „Gefangen in Puchheim“ das Thema der Kriegsgefangenschaft im Ersten Weltkrieg. Das Flugfeld Puchheim, der erste Flugplatz Bayerns, war 1914 in ein Kriegsgefangenenlager umgewandelt worden. 25.000 Kriegsgefangene aus Russland, Frankreich und Italien wurden von hier aus in ganz Oberbayern zur Arbeit eingesetzt. Anhand zahlreicher bisher unveröffentlichter Dokumente und zeitgenössischer Fotografien veranschaulicht das Buch den Alltag der Lagerinsassen und ihrer Bewacher.