Bayerische Geschichte(n), 10/2018: Heimat – Heimweh

Die Landkarte „Europa Regina“, die Böhmen als das Herz Europas zeigt, weist auf die zentrale Rolle hin, die dem Königreich Böhmen im Denken Ferdinands I. zukam (Fotos: Sudetendeutsches Museum).

Liebe Leserin, lieber Leser,

Karten fungieren nicht nur als Wegweiser oder Orientierungshilfe für Suchende, sondern können auch der Politik als Mittel zur Inszenierung staatlicher Größe dienen. Ein besonderes Exemplar einer solchen politischen Karte ist unter der Bezeichnung „Europa Regina“ bekannt. Johannes Putsch, seinerzeit „PR-Berater“ am Hofe des böhmischen Königs Ferdinand I., bemühte sich das Ansehen seines Monarchen und des Reiches zu vergrößern. Seine Karte aus dem Jahr 1537 zeigt den europäischen Kontinent „in forma virginis“, also in Form einer jungen Frau: Das Haupt wird dabei von der Iberischen Halbinsel gebildet, der Reichsapfel von Sizilien, das lorbeerumkränzte Herz indes vom Königreich Böhmen. Der historische Rang, die geografische Lage, die wirtschaftliche Bedeutung des Königreichs, aber auch die dort herrschende kulturelle Vielfalt seiner Bewohner, in der sich die gesamte Vielfalt Europas spiegelte – all dies symbolisiert die „Europa Regina“.

In den Jahren 1949 bis 1974 produzierte die Firma „Dworzak“ den Heimatschnaps mit dem Namen „Sudetenfeuer“.

Von braunem Glas umschlossen, mit einem roten Etikett bedruckt: Das „Sudetenfeuer“, der „Heimatschnaps“ der Sudeten, war ein Stamperl gegen Heimweh und für den Zusammenhalt im noch fremden, neuen Zuhause. 1903 wurde die Schnapsbrennerei im heute tschechischen Rabersdorf, einem kleinen Dorf in Nordmähren, von Gustav Dworzak gegründet. Anfangs widmete man sich vor allem der Herstellung von „Slibowitz“, bis nach der Vertreibung die beiden Söhne Alfred und Walter 1949 in der neuen Heimat, in Burghaun/Hessen, die Produktion von „Sudetenfeuer“ und anderen Likören und Edelbränden starteten. Bei Heimattreffen der 1950er und 1960er Jahre wurde Dworzaks Gebirgskräuterlikör als Erinnerung an das alte Zuhause nur allzu gerne ausgeschenkt. „Willst du ein Weilchen in der Heimat sein, schenk dir ein Gläschen edlen Dworzak ein“, warb der Hersteller.

Es ist nicht bekannt, wer diesen Lederhelm einst bei der Arbeit in St. Joachimsthal getragen hat – im Museum steht er stellvertretend für die vielen namenlosen Opfer der Nachkriegszeit.

Anders als der „Heimatschnaps“, der vom Trost und vom Ankommen in der neuen Heimat erzählt, beherbergt das Sudetendeutsche Museum aber auch Exponate, die durch die dahinter verborgenen Schicksale sehr betroffen machen – so der Lederhelm eines Zwangsarbeiters, der im Bergwerkkomplex bei St. Joachimstahl im böhmischen Erzgebirge unter unmenschlichen Bedingungen schuften musste. Fern der Heimat bauten etwa 5.000 deutsche Kriegsgefangene und 7.000 nicht ausgesiedelte Sudetendeutsche sowie 100.000 tschechoslowakische politische Häftlinge in finsterer Tiefe Uran ab, welches die Sowjetunion dringend für die Herstellung von Atombomben benötigte. Unter wie über Tage ungesichert und schutzlos dem radioaktiven Material ausgesetzt, wurden viele Zwangsarbeiter unheilbar krank und litten oft jahrelang unter den Folgen dieses dunklen Kapitels der tschechoslowakischen Nachkriegsgeschichte.

Ein altes Motorrad, eine Weihnachtskrippe, ein Jagdhorn oder das Rezeptbuch der Tante aus Brünn – all diese Objekte dokumentieren auf eigene Weise ein Stück Geschichte der Deutschen aus Böhmen, Mähren und Schlesien. Für die Heimatvertriebenen sind es oftmals Alltagsgegenstände, die die Erinnerungen an das ehemalige Zuhause wachhalten. Wieder andere Dinge stehen bereits für das neue Leben, das Ankommen in der Fremde. Das Sudetendeutsche Museum, das 2019 in München eröffnet wird, hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Objekte zu sammeln. Der Band „Heimatgeschichten“ zeigt eine Auswahl dieser alltäglichen und außergewöhnlichen Gegenstände in ihrem historischen und kulturellen Kontext. Der zeitliche Rahmen spannt sich dabei von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart.

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