Bayerische Geschichte(n), 08/2017: Utopia im Herzen des Chiemsees
Liebe Leserin, lieber Leser,
die besondere Atmosphäre der Fraueninsel, dieses abgeschiedenen, verwunschenen, kleinen Utopia im Herzen des Chiemsees, wussten Anfang des 20. Jahrhunderts schon zahlreiche bekannte Maler, Dichter und Schriftsteller zu schätzen, darunter z.B. Ludwig Thoma, Karl Stieler oder die Künstlerfamilie Haushofer – der Maler Maximilian Haushofer hatte den Weg für die Künstlerkolonie geebnet. Man versammelte sich vor allem in den Sommermonaten, um sich von der Schönheit der Fraueninsel inspirieren zu lassen. Viele Künstler spürten in ihren Werken auch den Wurzeln der uralten Inselkultur nach: Diese reichen mit dem Benediktinerinnenkloster bis ins 8. Jahrhundert zurück. Der zum Kloster gehörige Glockenturm trägt nicht nur eine der ältesten Zwiebelhauben Bayerns, er ist auch ein Wahrzeichen der Insel und nach wie vor beliebtes Motiv in Skizzenblöcken und auf Leinwänden.
Dass zahlreiche Frauen Mitglieder der Haushofer’schen Künstlerkolonie waren, ist heute fast vergessen. Dabei handelte es sich bei ihnen um deutschlandweit bekannte Schriftstellerinnen und Malerinnen, die ihr Können nicht nur auf künstlerischem Gebiet zeigten, sondern sich auch als Frauenrechtlerinnen erfolgreich politisch engagierten. Eine von ihnen war Carry Brachvogel. Als junge, alleinerziehende Witwe entschied sie sich klar gegen den Weg einer erneuten Sicherungs-Heirat und stieg stattdessen rasant zur gefeierten Autorin, Journalistin und Gastgeberin eines der gefragtesten literarischen Salons Münchens auf. Die Fraueninsel diente auch ihr zur steten Inspiration. Sie besuchte ihre Kolleginnen und Freundinnen Emma Haushofer-Merk und Marie Haushofer auf Frauenchiemsee und widmete dem kleinen Eiland poetische Auftritte – so in ihrem Essay „Drei bayerische Kleinodien“: „Denn grün, zart und flach schwimmt die Fraueninsel auf den azurnen Wellen des Chiemsees, den in weitem Umkreis die blauende Alpenkette umzieht.“
Carry Brachvogel war als sehr genaue Beobachterin bekannt, als Autorin mit außergewöhnlichem Gespür für das Wesen der Orte, über die sie schrieb. Der Fraueninsel ging sie mit besonderem Genuss auf den Grund und sprach zum einen dem Kloster einen großen Anteil an der einzigartigen Atmosphäre der Insel zu – zum anderen aber auch der Künstlerkolonie, die das Leben auf Frauenchiemsee über viele Jahre bereichert und geprägt hatte. Noch heute birgt ein Rundgang über den kleinen Inselfriedhof so manche Überraschung, denn einige Berühmtheiten blieben der Insel, ihrem künstlerischen Utopia, auch im Tode treu. Ein zweites Vermächtnis der Kolonie sind ihre Chroniken, eine Mischung aus künstlerischem Tagebuch, vielfältigem Skizzenbuch und Gästebuch für alle großen Köpfe der damaligen Kunstszene, die sich für mindestens einen Sommer in die Fraueninsel verliebt hatten.
Fast jeder kennt Herrenchiemsee, die größte der drei Chiemseeinseln, samt ihrem prächtigen unter Ludwig II. erbauten Schloss. Doch kaum einer ist sich der reichen kulturellen Vergangenheit der kleinen Schwesterinsel Frauenchiemsee bewusst. Ingvild Richardsen folgt den Spuren von vier beeindruckenden Künstlerinnen und Frauenrechtlerinnen, die Anfang des 20. Jahrhunderts auf der Insel lebten und arbeiteten: Originaltexte geben Einblick in vergangene Zeiten, ergänzt um umfangreiches Hintergrundmaterial zur Geschichte der Insel.
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ISBN: 978-3-86222-222-3 €20,00