Bayerische Geschichte(n) 05/2011: „Solang der Alte Peter … bis zwei Uhr und nicht später“

Die aufgeladene Stimmung nähert sich dem Siedepunkt. Protest gegen die verlängerten Ladenöffnungszeiten, 20. Juni 1953 (Bild: Berthold Fischer, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung).

Liebe Leserin, lieber Leser,

20. Juni 1953, Samstagnachmittag in der Münchner Kaufingerstraße: 10.000 aufgebrachte Bürger prallen auf mehrere Hundertschaften Polizisten. Diese schlagen mit den Kolben ihrer Karabiner in die Menge, doch in der Fürstenfelder Straße scheint sich das Blatt zu wenden: Ein Steinhagel geht auf die Ordnungshüter nieder, von den Dächern prasseln Dachrinnenteile und Ziegel auf sie herab.

Dann fährt der neu angeschaffte Wasserwerfer auf, die Menge wird in Richtung Stachus zurückgedrängt. Dort errichten die Protestierenden eilends aus Brettern und Leitern Barrikaden, berittene Polizei sprengt in die Masse – das Bild gleicht einem Bürgerkriegsszenario. Ein Tourist fragt verstört: „Ist das hier in München jeden Samstag so?“.

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Der Einsatz eines Wasserwerfers bringt die Atmosphäre zum Eskalieren. Nach dem Rückzug der Demonstranten zum Stachus setzen sie sich dort mit Wurfgeschossen zur Wehr (Bild: Georg Schödl, Stadtarchiv München).

Der Grund für die eskalierende Empörung vieler Tausend Münchner ist heute längst unvorstellbar, mutet nach beinahe sechs Dekaden absurd an: Die neu eröffneten Filialen von „C&A“ und „Salamander“ in der Münchner Innenstadt wollen am Samstagnachmittag ihre Läden bis 17 Uhr geöffnet halten und nicht, wie eine Vereinbarung von 1947 festlegt, bereits um 14 Uhr schließen. Die wütenden Gewerkschaften mobilisieren mit Flugblättern zu Protesten.

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Auch ein dreiviertel Jahr später haben sich die Gemüter noch nicht abgekühlt. Tausende von Demonstranten sammeln sich am 27. März 1954 in der Kaufingerstraße gegen die Staatsgewalt (Bild: Berthold Fischer, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung).

Das Haus von „C&A“ wird von vielen als Fremdkörper aus dem fernen Holland empfunden, das sich ungewollt ins Münchner Geschäftsleben gedrängt hat. „Brenninkmeyer C und A brauch ma net, war z’erscht net da!“ schallt es an diesem sowie den folgenden Samstagen durch die Straßen der Münchner Innenstadt.

Viele dringen in den Laden ein, blockieren die Rolltreppe, verbarrikadieren den Eingang, zerstören die Einrichtung. Vor allem die Gewerkschaftsjugend ist frustriert, zeichnet sich doch immer deutlicher ab, dass der Einfluss der Arbeitnehmer schwächer ist als nach 1945 erhofft.

Der Stachus gleicht an diesem Tag einem Bürgerkriegsszenario (Bild: Berthold Fischer, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung).

Die Münchner Ereignisse trugen letztendlich wesentlich dazu bei, dass sich 1956 im Bundestag eine Mehrheit für ein restriktives Ladenschlussgesetz fand.

Heute sind diese hitzigen Auseinandersetzungen vergessen, 1996/2003 wurden die Ladenöffnungszeiten bis 20 Uhr verlängert – diesmal ganz ohne begleitende Krawalle. 30 Autoren aus Wissenschaft und Politik widmen sich in „Auf den Barrikaden“ den Protesten in München seit 1945, ihren vielfältigen Motiven und Erscheinungsformen.