Bayerische Geschichte(n), 04/2013: Eine Familie aus Ichenhausen

Jüdische Friedhofe sind buchstäblich auf die Ewigkeit angelegt, die einzelnen Gräber werden nicht wieder neu belegt und spiegeln die Geschichte einer Gemeinde wieder.

Liebe Leserin, lieber Leser,

als die jüdische Gemeinde in Ichenhausen bei Günzburg im Jahr 1934 eine neue Aussegnungshalle bauen wollte, gab es nur wenige kritische Stimmen. Isaak Raphael Seligmann aber hatte nicht nur das Parteiprogramm der Nationalsozialisten, sondern auch Hitlers „Mein Kampf“ gelesen. Die Juden wollten offensichtlich nicht begreifen, dass ihre Zeit in Deutschland vorbei sei, sagte er auch denen, die es nicht hören wollten – und das waren die weitaus meisten.

Die Synagoge in Ichenhausen mit dem Haus des Rabbinatsdieners und der Mikwe steht unter Denkmalschutz.

Seit 1567 gab es einen jüdischen Friedhof in Ichenhausen, eine Synagoge ist seit dem 17. Jahrhundert belegt, im 19. Jahrhundert war sie mehrfach erweitert worden, man hatte eine beheizbare Mikwe (ausführlich beschrieben in „Der Geschichte auf der Spur – 2. Etappe“, Volk Verlag ) gebaut, ein jüdisches Schulhaus, ein Armenhaus und ein repräsentatives Rabbinatsgebäude. Fast die Hälfte der Bewohner Ichenhausens, mehr als 300 Menschen, gehörten dem jüdischen Glauben an.

Unter dem Sternenhimmel der Synagoge finden heute Veranstaltungen statt. Zusammen mit dem Museum lädt sie zur Begegnung mit der Kultur des Landjudentums in Schwaben ein.

Mit der Gründung des Deutschen Reichs war 1871 auch in Bayern formal die politische Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung abgesichert. Seit dem Mittelalter waren die Juden immer wieder Verfolgungen und Vertreibungen ausgesetzt gewesen, noch im 19. Jahrhundert hatten sie unter der restriktiven Gesetzgebung des Königreichs zu leiden. Sozial waren sie auch jetzt noch nicht akzeptiert. Lange vor der systematischen Verfolgung im „Dritten Reich“ herrschte – auch in den ländlichen Regionen Bayerns – ein latenter Antisemitismus.

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Jahrhundertealte Bäume wachsen auf dem jüdischen Friedhof in Ichenhausen. Etwa 1000 Gräber gibt es dort, die ältesten noch lesbaren Inschriften datieren auf das 18. Jahrhundert.

Der Textilhändler Isaak Raphael Seligmann war einer der wenigen, der die Zeichen der Zeit erkannte. Er versenkte das Frontkämpfer-Verdienstkreuz, das ihm noch 1935 „im Namen des Reichskanzlers und Führers Adolf Hitler“ verliehen worden war, im Flüsschen Günz, verkaufte sein Haus und wanderte mit seiner Familie nach Jerusalem aus, wo er wenige Jahre später starb. Sein 1947 in Israel geborener Enkel Rafael Seligmann lebt als Publizist und Autor wieder in Deutschland. Sein autobiografischer Text über den Besuch des jüdischen Friedhofs in Ichenhausen ist in dem Buch „Das leere Haus“ abgedruckt, das die steinernen Zeugnisse des ehemals blühenden jüdischen Lebens in Schwaben dokumentiert.