Bayerische Geschichten 03/2025: Der 2. Fall für Tierarzt Karl Hornsteiner

Liebe Leserinnen und Leser,

Sommer 1973: Kaum hat Tierarzt Karl Hornsteiner sein letztes Abenteuer hinter sich gebracht, ist er schon wieder als Ermittler wider Willen gefragt. Denn unverhofft tritt Astrid in Karls Leben. Die junge Frau ist nicht nur Besitzerin eines Paars umwerfend grüner Augen und einer imposanten Dogge, sondern auch Mitglied einer örtlichen Studenten-Zelle, die der Terrororganisation RAF nacheifert. Als Astrids Bruder spurlos verschwindet und ihre Familie erpresst wird, ist Karl mittendrin in seinem zweiten Fall.

Georg Unterholzner, als Tierarzt für die nötige Portion medizinischen Realismus zuständig, und Volker Ufertinger, als Lokalredakteur mit den irrwitzigsten Geschichten des bayerischen Landlebens bestens vertraut, schicken ihren Dr. Hornsteiner in „Doggendämmerung“ nicht nur auf die Fährte der Erpresser, sondern stürzen ihn auch in ein wahres Gefühlschaos. Ob der junge Tierarzt sich daraus wieder befreien kann?

Leseprobe:

„Ich bin wegen einer Anzeige hier,“ sagte Huber und ich merkte, dass ihm die Sache unangenehm war.
„Einer Anzeige?“, wiederholte ich ungläubig.
„Die Polizei sucht Caroline Ricke, die Schwester von Dr. Clemens Ricke“, sagte Huber und schluckte. „Man hat sie in ihrer Wohnung in der Kaulbachstraße nicht angetroffen.“
„Was will die Polizei von ihr?“, fragte ich und erwähnte mit keiner Silbe, dass Kalli heute Mittag hier gewesen war und erst vor einer guten Stunde das Haus verlassen hatte.
„Sie soll bloß ein paar Fragen beantworten“, meinte der Inspektor.
„Bloß ein paar Fragen? Worum geht’s?“
„Kann ich Ihnen nicht sagen.“
„Und wer ist so neugierig?“
„Kollegen.“
„Was für Kollegen?“
„Staatsschutz.“
„Und weswegen?“
Huber zögerte, biss sich auf die dünnen, blutleeren Lippen und begann schließlich: „Man hat sie auf diversen Demonstrationen gesehen. Zusammen mit Leuten, die für Terroristen gehalten werden. Oder zumindest für Sympathisanten.“
„Terroristen?“, wiederholte ich und sah mein Gegenüber ungläubig an.
„Caroline Ricke hat Kontakt mit Leuten, die im Verdacht stehen, Anschläge verübt zu haben.“ Huber schluckte erneut. „Nur auf Gebäude, keine Verletzten oder Toten.“ Und dann sagte er etwas, was ich ihm nie im Leben zugetraut hätte: „Nazi-Verbrecher, die ganze Städte in Schutt und Asche legten und deren Bevölkerung massakrierten, haben anscheinend nur ihre Pflicht getan. Sie sitzen seit Kriegsende wieder in ihren warmen Stuben, mit sicheren Pensionsansprüchen. Aber junge Leute, die eine Garage anzünden, um gegen den Wahnsinn in Vietnam zu demonstrieren, nennt man Terroristen. Diese Welt soll verstehen, wer mag.“ Er stand auf. „Sagen Sie dieser Caroline, sie soll sich bei der Polizei melden. Am besten bei mir persönlich.“ Er zündete sich umständlich eine Zigarette an, grüßte und ging.
Clemens hatte also recht gehabt, als er sich Sorgen um seine Schwester machte. An Empathie konnte es eh niemand mit ihm aufnehmen. Er roch Probleme, er roch Befindlichkeiten. Bei Mensch und Tier. Selbst in der Diagnostik verzwickter Fälle ohne eindeutige Symptome half ihm sein Gespür gelegentlich weiter. Ich vertraute ausschließlich meinem Phonendoskop, dem Röntgengerät und den Lehrbüchern.
Jedenfalls war die Polizei hinter Kalli her. Ich musste sie warnen. Clemens brauchte davon nichts zu wissen. Sicher war alles nur eine dumme Verwechslung, ein Irrtum, ein Versehen. Kalli war ein temperamentvolles Mädchen, so viel stand fest. Aber für Terrorismus, also Mord und Totschlag hatte sie nichts übrig. Sie hatte gerne ihren Spaß, rasch wechselnde Liebhaber und einen wirklich bemerkenswerten Hintern. Aber Terroristin? Oder Sympathisantin? Das konnte nicht stimmen.
Ich musste sie anrufen, also griff ich zum Apparat und wählte ihre Münchner Nummer.
„Ja.“ Eine männliche Stimme war dran.
„Mein Name ist Karl Hornsteiner und ich hätte gerne mit Kalli gesprochen“, sagte ich.
Schweigen.
„Ich hätte gerne mit Kalli Ricke gesprochen“, wiederholte ich. „Ist sie nicht da? Oder hab ich mich verwählt?“
Ein Hüsteln der unangenehmen Art. „Nein, Kalli ist nicht da.“ Eine kleine Pause. „Und sie braucht sich auch nicht mehr hier blicken zu lassen. Höchstens, um ihren Krempel abzuholen.“
„Wieso? Was ist denn passiert?“, wollte ich wissen.
„Was passiert ist?“, rotzte mein Gegenüber in den Hörer. „Die Bullen haben uns besucht. Sie haben uns behandelt, als wären wir Verbrecher. Und alle Zimmer haben sie auf den Kopf gestellt. Jeden Kübel haben sie umgedreht und jeden Ordner durchwühlt.“
„Wieso?“, fragte ich.
„Kalli hat mit irgendwelchen schrägen Typen zu tun.“
„Mit welchen Typen?“
„Mit Kerlen, die von der Polizei gesucht werden.“ Mein Gesprächspartner schnaufte in den Hörer. „Hier in der WG hat sie sich schon eine Woche nicht mehr blicken lassen. Zum Abschied hat sie mit ihrem Latin Lover noch eine Lasagne gekocht, die Töpfe und Teller ungewaschen stehen gelassen und dann ward sie nicht mehr gesehen.“
Dieses Detail passte zu Kalli.
„Und jetzt kommen auch noch die Bullen.“
„Haben sie was gefunden?“
Mein Gesprächspartner schnaubte erneut. „Natürlich haben sie was gefunden.“
„Eine Waffe?“
„Nein.“
„Was dann?“
„Gras. Aber nur ein paar Gramm.“
„Ach so.“ Ich überlegte, in wie vielen WGs in Uninähe man kein Gras gefunden hätte.
„Jetzt haben wir alle, also Peter, Moni und ich, die Bullen m Hals. Morgen müssen wir aufs Revier, zur Aussage.“ Er machte eine Pause und ich hörte am Zischen eines Streichholzes, dass sich mein unsympathischer Gesprächspartner gerade eine Zigarette anzündete. „Aber wir haben mit dem Stoff nichts zu tun. Kalli war’s. Sie hat das Zeug in der Küche hinter dem Zucker versteckt. Wir anderen haben nichts mit der Sache zu tun. Gar nichts! Das können Sie ihr ausrichten.“
„Haben Sie eine Idee, wo ich sie erreichen könnte?“
„Probieren Sie es mal in Grünwald.“
„Wieso Grünwald?“, stellte ich mich blöd.
„Ihre Freundin Astrid wohnt da.“
„Haben Sie das der Polizei auch erzählt?“
„Bin ich bescheuert?“ Er nahm einen tiefen Zug. „Den Bullen erzähle ich gerade noch, wie ich heiße. Aber auch nur, wenn sie meinen Ausweis eh schon in den Fingern haben.“
„Woher wissen Sie, dass ich nicht von der Polizei bin?“
„Sie haben nach Kalli gefragt und nicht nach Fräulein Ricke. Kein Bulle würde sich so unkorrekt ausdrücken.“ Er legte auf, ohne sich von mir zu verabschieden.
Blöder Typ, dachte ich. Dass Kalli in eine WG mit solchen Kerlen zieht, hätte ich nicht gedacht. Doch vielleicht sah der Bursche gut aus.
Jetzt musste ich Kalli aber erst recht finden. Man wollte sie in die Pfanne hauen. Und das konnte ich nicht zulassen.