Bayerische Geschichten 01/2023: Identität ist Vielfalt

Liebe Leserin, lieber Leser,

jeder Mensch, jede Gemeinschaft vergewissert sich der eigenen Identität stets aufs Neue. Ihre Bezugspunkte sind Herkunft, Sprache, Religion, Kultur. Dabei sind individuelle und kollektive Selbstzuschreibungen ambivalent, vielschichtig und wandeln sich mit neuen Erfahrungen. In dieser Hinsicht war und ist auch die Identität der Deutschen im und aus dem östlichen Europa von Vielfalt geprägt. Ausgewiesene Experten ihres Fachs setzen sich im Rahmen von „Wer bin Ich? Wer sind Wir?“ mit identitätsstiftenden Aspekten wie Landschaft, Sprache, Essen, Literatur, Brauchtum und Sport auseinander.

Kinder beim siebenbürgisch-sächsischen Trachtenumzug, Heimattag der Siebenbürger Sachsen, Dinkelsbühl, 2010 (Bild:  Josef Balazs)

Bei den Vertriebenen und Flüchtlingen sowie den Aussiedlern und der „angestammten“ Bevölkerung war die deutsche Sprache sowohl verbindendes als auch trennendes Element. Für die Identität prägend können dabei sowohl die Standardsprache als auch der Dialekt sein – und gerade die Wahrung von Dialekten ist aus diesem Grund für viele Menschen besonders wichtig. Gleichzeitig kann Dialekt ausschließend wirken. Dass Sprache zur Abgrenzung zwischen Gruppen dient, kann man sich leicht vorstellen. Das zeigt sich auch in den Bezeichnungen für Andere – so werden die Deutschen in vielen slawischen Sprachen als „Neěmci“ (oder entsprechenden Abwandlungen davon) bezeichnet, was so viel wie „die Stummen“ bedeutet, da man sich nicht mit ihnen verständigen konnte.

Gschtremmte, wolgadeutsches Gericht (Bild: Christian Martin Weiß)

Wer bin Ich? Laut Ludwig Feuerbach („Der Mensch ist, was er isst.“) findet sich die Antwort auf diese Frage auch auf dem Tisch, denn Essen ist ein elementarer Teil der kulturellen Identität. Besondere Zutaten, die Rezepte der Großmutter oder das Lieblingsessen aus der Kindheit können dabei eine Rolle spielen. Sei es das „Schlesische Himmelreich“ oder die „Böhmischen Knödel“, das „Schaschlik“ oder das „Klausenburger Kraut“. Meist sind es gerade Rezepte oder besondere Gerichte, die auch von Generation zu Generation weitergegeben werden. Die Kulinarik kann so ein Zugehörigkeits- und auch ein Heimatbewusstsein schaffen. Und gerade beim (zwangsweisen) Verlassen der Heimat können bestimmte Gerichte oder Festtagstraditionen eine Kontinuität und Verbindung zur Heimat herstellen. Deshalb halten sich auch diese Traditionen besonders lang.

Junge Bäuerinnen, Lechnitz / Lechința, Nordsiebenbürgen / Rumänien (Bild: Retzlaff, Hans: Bildnis eines deutschen Bauernvolkes. Die Siebenbürger Sachsen, Berlin 1936, S. 91 / Bibliothek des HDO München / © Annette Hempfling)

So wie jede Gesellschaft sich nach Ethnien und Regionen, nach sozialen Schichten und Berufen, nach Konfessionen und Geschlechtern gliedert, so ist die Tracht ein symbolisches Zeichen der Identität einer Gruppe, ein Mittel ihrer Selbstbestimmung und Abgrenzung gegenüber anderen. In den deutschen Staats- und Siedlungsgebieten im östlichen Europa gab es Unterschiede in den Trachten nicht nur zwischen den einzelnen Gruppen von Region zu Region, sondern auch innerhalb einer Region, mitunter von Dorf zu Dorf. Zwar war den Bauerntrachten ihre Grundausstattung, zu der bei Frauen Hemd, Rock und Schürze und bei Männern Hemd und Hose gehörten, gemeinsam. Es gab jedoch auch zahlreiche Differenzierungsmerkmale wie Stoff, Schnitt und Farbe sowie dekorative Ausstattung.