Bayerische Geschichten 17/2025: Ikonen der Architektur
Liebe Leserinnen und Leser,
der Wasserturm – einst zentrales Element der städtischen Wasserversorgung – beeindruckte nicht nur durch seine technische Funktion, sondern auch durch seine lebensnotwendige Fähigkeit, ganze Städte und Industrieareale mit ausreichend Trink-, Brauch- und Löschwasser zu versorgen. Mit der rasanten Entwicklung der Bautechnologie im 19. und 20. Jahrhundert wuchs der Behälterbau zu einem weithin sichtbaren Bauwerk, das sich zu einem eigenständigen Bautypus, dem „Wasserturm“, entwickelte und zahlreiche Stadt- und (industrielle) Landschaftsbilder prägte. Heute jedoch droht vielen dieser stillgelegten Bauwerke der Abbruch – und damit der stille Verlust bedeutender historischer Zeugnisse unserer Ingenieur- und Architekturgeschichte.
In „Wassertürme im Wandel. Ikonen der Architektur und Ingenieurbaukunst“ wird der Wasserturm von verschiedenen Standpunkten beleuchtet, analysiert und in den historischen, funktionalen und architektonischen Kontext gesetzt. Mit annähernd 300 Abbildungen und Planskizzen liefert das kunstvoll gestaltete Buch zahlreiche faszinierende Einblicke in das Innenleben der ansonsten nicht zugänglichen Türme.

Bereits in den Jahren um den Ersten Weltkrieg entstanden im Norden des Deutschen Reichs markante Backstein-Wassertürme der schrittweisen Formreduktion, mit nur wenig akzentuierten Köpfen, markanten Pfeilervorlagen am Schaft und verhältnismäßig flach geneigten Kegeldächern. Mit den norddeutschen Turmbauten vergleichbar, doch hier auf die Materialästhetik der offen sichtbaren Betonoberflächen abgestellt, ist der Turmbau von Geisenfeld (1934). Der Wasserturm ist radikal in seinem Verzicht auf jede Form von Bauzier; die Wirkung des Geisenfelder Baus wird ausschließlich durch die leicht konkave Führung der Turmkontur erzielt. Unterbau und Behälter sind wie aus einem Guss bzw. entspringen einer gemeinsamen Form. Der monolithische, sich nach oben leicht verjüngende Turm gilt durch seine Sichtbetonbauweise als ein Vorläufer des Brutalismus. Wie seine norddeutschen Backstein-Geschwister finden sich diese strengen Turmbauten im Wesentlichen isoliert in Ortsrandlage.

Das 1973 erbaute, monolithisch anmutende Bauwerk in Buchloe besitzt eine klare Formensprache: Einen zylindrischen Schaft und einen Konus, wobei der Wasserbehälter optisch in den Vordergrund gestellt wird. Die beiden Kammern haben einen dreieckigen Querschnitt und sind ineinander verschränkt – zur Verstärkung der Behälterkonstruktion. Zunächst wurde der Schaft erstellt, danach wurde der am Boden gefertigte Behälter im Zugverfahren an seine finale Position gebracht. Schon rein von seiner äußeren Form sieht er absolut futuristisch aus und wendet sich eindeutig von tradierten Bauformen ab. Als Vorbild für den Turm kann der Fernsehturm von Stuttgart gelten, bei dem zum ersten Mal überhaupt Stahlbeton eingesetzt wurde. Der Wasserturm Buchloe ist Wahrzeichen seines Ortes.

Der Wasserturm des Müller’schen Volksbades (1901) in München ist ein Analogbeispiel der monumentalen Turmbauten, die dezidiert als städtische Wahrzeichen und Symbolbauwerke konzipiert waren. Der reizvoll und malerisch gestaltete Turm findet an den barocken Türmen von Stadt und Umfeld kein eigentliches Vorbild, harmoniert aber mit der bestehenden Stadtsilhouette, sodass bis heute Touristen den Zugang zu der dazugehörigen Kirche suchen. Die Gliederung und die Ausschmückung im Jugendstil verleihen dem Turm einen nahezu sakralen Charakter. Neben der Wasserversorgung befinden sich Wohnungen (3. – 4.OG), ein Uhrwerk, eine Aussichtsplattform sowie ein Läutwerk im Turm, der direkt in den Baukörper der Badeanstalt integriert ist. Das Müller’sche Volksbad galt als internationales Leuchtturmprojekt für öffentliche Badeanstalten um die Jahrtausendwende.
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ISBN: 978-3-86222-522-4 €30,00

