Bayerische Geschichte(n), 20/2015: Geradestehen für den Fotografen
Liebe Leserin, lieber Leser,
da wird einem schon beim Anblick schwindelig: Drei Männer stehen völlig frei auf der Spitze des St.-Georg-Kirchturms in Freising und posieren für den Fotografen. Eine waghalsige Aktion, die damals am 14. Juni 1892 sicherlich zahlreiche Schaulustige anlockte. Den drei Spenglern, die seinerzeit umfangreiche Sanierungsmaßnahmen am Kirchturm durchführten, ist zum Glück nichts passiert. Wer dieses ungewöhnliche Motiv eingefangen hat, weiß man nicht, doch es kommen eigentlich nur die Fotografen Franz Ress und Jakob Werkmeister infrage, da es zu dieser Zeit noch kaum andere professionelle Fotografen in Freising gab.
Anders als in München, Augsburg oder Nürnberg: Hier gab es bereits in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts die ersten geschäftsmäßigen Fotoateliers. Freising war in dieser Hinsicht ein Nachzügler, denn dort eröffnete der Lithograf Anton Unthal erst im Jahr 1857 das erste Atelier. Der erste „richtige“ Fotograf Freisings war dann aber erst der 1853 geborene Franz Ress, der in München eine Ausbildung zum Fotografen absolviert hatte. Natürlich gab es neben den genannten Fotografen auch zahlreiche andere Personen, die in dieser Zeit Aufnahmen der Stadt anfertigten, doch kann Ihnen leider kein einziges Foto namentlich zugeordnet werden.
Eine Aufnahme von Franz Ress zeigt das Ziegeltor, vor dem sich etwa 30 Einwohner aufgestellt hatten, um dem außergewöhnlichen Ereignis einer Fotoaufnahme beizuwohnen. Wie bei vielen Fotografien jener Zeit sind die dargestellten Personengruppen als reine Staffage zu bewerten, die allenfalls zur Belebung des Bildmotivs beitragen sollten. Oftmals fanden sich Menschen aller Altersgruppen spontan in ihrer Alltagskleidung vor der Kamera des Fotografen ein.
Der Bildband „Freising in der Frühzeit der Fotografie“, von Florian Notter zusammengestellt, präsentiert eine beeindruckende Auswahl von 60 historischen Aufnahmen der Stadt Freising.
- ISBN: 978-3-86222-195-0