Bayerische Geschichte(n), 06/2014: Königskinder, Müller und Fabrikanten
Liebe Leserin, lieber Leser,
„Eines Tages flog die Pulvermühle mit lautem Getöse in die Luft…“, erinnerte sich Kronprinz Rupprecht an seine Kindheit im ansonsten eher beschaulichen Dörflein Leutstetten, nördlich des Starnberger Sees an der Würm gelegen. Sein Vater, der spätere König Ludwig III. von Bayern, hatte das Leutstettener Schloss im Jahr 1875 gekauft und es zusammen mit dem benachbarten Gut Rieden zu einem landwirtschaftlichen Musterbetrieb mit Treibhäusern, Blumenrabatten und Gemüsebeeten ausbauen lassen. Später kamen noch eine Fischzucht und das berühmte Gestüt dazu. Bereits ab 1864 befand sich ganz in der Nähe am Würmufer eine Pulvermühle. Das Schwarzpulver kam beim Straßen-, Bahn- und Tunnelbau zum Einsatz. Die Herstellung war jedoch nicht ungefährlich – und so erschütterten zuweilen laute Explosionen die ländliche Idylle des Mühlthals.
Bereits im Mittelalter war die Würm einer der wichtigsten Mühlenflüsse in Bayern. Der Bau von Wassermühlen bedeutete den Übergang vom Einzelwerkzeug zur Maschine. Sie unterstanden jedoch dem „Mühlenbann“ des jeweiligen Grundherrn, der das alleinige Recht zum Bau und Betreiben einer Mühle innehatte. Alle Untertanen eines Grundherrn waren bei Strafe verpflichtet, ihr Getreide ausschließlich in der sogenannten „Zwangmühle“ mahlen zu lassen. War die Mühle eine Sägemühle, so hatte der Grundherr auch das Holzschlagmonopol inne, er kontrollierte also die wichtigen Ressourcen Wasserkraft und Holz. Erst nach dem Erlass der Gewerbeordnung im Jahr 1808 und mit der gesetzlichen Garantie der Gewerbefreiheit konnten auch die Mühlbetriebe ohne Bann- und Zwangrechte frei wirtschaften. Der Kundenkreis und die Produkte der Mühlen veränderten sich zusehends.
In Krailling hat sich am Würmufer die 1975 stillgelegte Linnermühle als Kleinod des Industriezeitalters erhalten. Obwohl die Anlage nicht mehr in Betrieb ist, sorgt der Eigentümer August Linner für eine beinahe liebevolle Instandhaltung der Mühlengebäude. Die technische Ausstattung mit Transmissionsriemen, Elevatoren in Holzkästen und Walzenstühlen stammt aus der Zeit zwischen 1904 und 1950. In Gauting bewohnte ab 1893 die Papierfabrikantenfamilie Haerlin das ehemalige Hofmarkschloss. Das Stauwehr einer Wasserkraftanlage der Fabrik steht hier noch an der Würm, ebenso ein Wasserrad aus dem Jahr 1878. Zu ihrer besten Zeit produzierte die Haerlin’sche Papierfabrik mit Wasserkraft und Wasserdampf 18 Tonnen Druck- und Schreibpapiere am Tag. Südlich von Gauting befand sich die dazugehörige Holzschleif, wo das Würmwasser in einen Werkskanal abgeleitet wurde.
In seinem Buch „An der Würm – Augenblicke der Kultur zwischen Starnberg, Gauting, Pasing, Oberschleißheim und Dachau“ schildert Gerhard Ongyerth nicht nur die geschichtlichen Entwicklungen der Kulturlandschaft entlang der Würm und der Würmkanäle, er erzählt auch von den großartigen Inszenierungen der Natur und vom Fluss im Wechsel der Jahreszeiten. Von Thorsten Naeser stammen die ungewöhnlichen und poetischen Fotografien in diesem Bildband.