Bayerische Geschichte(n), 19/2013: Der Ruf der Wildnis
Lieber Leserin, lieber Leser,
Bayern ist kein leichtes Pflaster für den Naturschutz. So mancher politische Entscheidungsträger erhebt sein Nicht-Wissen rund um Flora und Fauna gar zur regelrechten Ignoranz-Kultur – besonders wenn es um die ursprüngliche, wilde Seite der Natur und ihre ebenso wilden Bewohner geht. So wird jeder eingewanderte Wolf sofort zum „Schafstod auf vier Beinen“ erklärt und auf „Ungeziefer“ wie Biber würde man gerne nicht nur verbal schießen. Bleibt es nicht nur bei derben Sprüchen, dann ist man auch in keinem anderen Bundesland so schnell mit drakonischen Verordnungen zur Hand, wenn es gilt, die Ansiedlung oder Verbreitung wildlebender Tierarten zu verhindern. „Problembär“ Bruno, der sich 2006 fatalerweise auf bayerischen Boden wagte, ist das wohl prominenteste Opfer dieser Haltung.
Ein Stück bayerischer Wildnis muss man heute suchen. Zum Glück setzt sich der Bund Naturschutz nun seit genau einem Jahrhundert dafür ein, dass diese Suche auch Erfolg hat. Die Wiederansiedlung von Tierarten, die in Bayern bereits als ausgerottet galten, zählt dabei zu seinen größten Leistungen. Seit den 1980er Jahren kümmern sich Experten um die Rückkehr der scheuen Wildkatzen und um die Stabilisierung ihrer Population. Die immer noch extrem seltenen Luchse haben im Fichtelgebirge neue, sogar dauerhafte Reviere gefunden und der Bestand der einst wegen ihres Pelzes gejagten Biber wuchs dank der Bemühungen des BN wieder auf sage und schreibe 14.000 Tiere an. Dem Ruf der Wildnis kann man besonders gut in Biberrevieren nachspüren. Rund um die Dämme der Wasserbaumeister kommt es zu Explosionen der Artenvielfalt und ihre durchaus radikale Art der Lebensraumgestaltung lässt alle Spuren menschlicher Eingriffe in die Natur verschwinden. Viel Zeit und Energie stecken die Mitglieder des BN aber nicht nur in die Wiederansiedlung bereits verlorener bayerischer Wildnisbewohner. Der Schutz bedrohter Arten nimmt einen ebenso wichtigen Platz ein. Immer noch aktuell, sehr aufwendig, aber auch äußerst wirkungsvoll ist die Arbeit der „Streetworker“: Im zeitigen Frühjahr bewahren sie mit Warnweste, Taschenlampe und Eimern ausgerüstet alljährlich gut 700.000 wandernde Kröten und Frösche vor einem Auftritt in der Statistik der Verkehrsopfer.
Naturschutz heißt oft Bewahrung von Relikten, hauptsächlich von verbliebenen wilden Tier- und Pflanzenarten. Diese finden sich aber nicht immer automatisch an den letzten Orten ursprünglicher Wildnis. Die alte, seit Jahrhunderten vom Menschen geprägte Kulturlandschaft kann in ihrer kleinteiligen Standortvielfalt auch zum Hort des Artenreichtums werden. Ist die Wildnis verloren, bieten einst von Menschenhand geschaffene Hecken, Heiden, Streuwiesen, Hohlwege und Terrassenäcker oft die einzigen Ersatzlebensräume. Diese historischen Kulturlandschaften zu schützen und ein Bewusstsein für ihren Wert zu schaffen, gelingt dem Bund Naturschutz auch mit der Hilfe engagierter Landwirte und vor allem zahlreicher ehrenamtlicher Helfer.
Der Bund Naturschutz feiert sein hundertjähriges Bestehen mit einem Heimatbuch der besonderen Art: Fundierte Texte, begleitet von eindrucksvollen Fotografien, erklären die Hintergründe des Natur- und Umweltschutzes in Bayern und eröffnen einen neuen Blick auf die bewahrenswerte Schönheit und Vielfalt der bayerischen Naturschätze.
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