PI: Wiedersehen mit Haidhausen
Wiedersehen mit Haidhausen –
Ein Münchner Viertel in den 1970er Jahren
In der Drogerie Beck gibt es Rasierklingen einzeln. Herr Beck lobt die alte Kernseife mit echtem Bor. Er führt den Laden schon seit 48 Jahren. (Manchmal sind es auch 56, je nachdem, wie er aufgelegt ist.) Herr Beck mischt Tees gegen Bronchitis, Gallensteine, Magenbeschwerden. Eine Gebrauchsanweisung steht auf jeder Tüte: „Ein Esslöffel Tee in 1⁄2 l Wasser kalt aufsetzen, zum Brodeln bringen, abseihen, mit Malz süßen, in kleinen Schlückchen schlürfen. Man enthalte sich des Rauchens.“
Sabine Jörg lässt mit kurzen Episoden und Schwarz-Weiß-Fotos das Haidhausen der 1970er Jahre wieder lebendig werden. Zwischen Wiener Platz und Orleanstraße konnte man in dieser Zeit noch manches finden, was es andernorts schon nicht mehr gab: Kohlenhändler, die auch kleinste Mengen verkauften, Drogisten mit selbstgefertigten Kräutermischungen und an jeder Ecke einen Tante-Emma-Laden. Auf der Straße traf man ganz überwiegend ältere Menschen, das Taubenmuatterl und den Grantler mit Dackel. Menschen, die seit der Geburt in derselben Wohnung wohnten, die täglich Kohlen aus dem Keller herauf schleppten und beim Gemüsemann bis zum nächsten Ersten anschreiben ließen.
Kaum etwas erinnert heute noch an das Haidhausen von einst. Es war mit der erste Münchner Stadtteil, der von der Gentrifizierung heimgesucht wurde. Zuerst entdeckten Künstler und Studenten das Viertel, dann nahm es eine neue, wohlhabende Generation in Besitz. Nach den umfänglichen Renovierungen der 1980er Jahre sorgten die enorm gestiegenen Mietpreise dafür, dass Handwerker und Kleingewerbetreibende die Haidhauser Hinterhöfe verließen und Rechtsanwälte, IT-Spezialisten und Banker in Wohnungen mit hohen Stuckdecken und Parkettboden einzogen.