Hubers bairische Wortkunde. Wissen woher Wörter kommen
Hubers bairische Wortkunde. Wissen woher Wörter kommen

Der bairische Konjunktiv: Mir wàrn mir
Heims Ausspruch fällt exakt unter das, was auch noch heute bayerische Politiker unter deutlicher Aussprache verstehen. Zugegebenermaßen gilt diese unverblümte Art zu sagen was man denkt außerhalb Altbayerns nicht als besonders höflich. Vielleicht liegt das aber generell daran, dass die Baiern eine ganz besondere (sprachliche) Vorstellung von Höflichkeit haben. Der Baier trägt die Höflichkeit nicht unbedingt anbiedernd vor sich her. Er will nicht aufdringlich wirken und versteckt sie eher, kleidet sie in eine spezielle Form des Konjunktivs, der Möglichkeitsform; in den Konjunktiv der Höflichkeit nämlich.

Vorauszuschicken ist noch einmal: Im Bairischen können die Vokale verschiedene Lautwerte, Abtönungen erhalten. Gerade das a ist sehr wandelbar. Schon das normale bairische a ist sehr dunkel wie in i war gestern zMinga (ich war gestern in München). Hier kennzeichnet das war mit normalem a die erste Vergangenheit. Hell wird das a dagegen, wenn es um die bairische Form des standarddeutschen ich wäre, also um den Konjunktiv, die Möglichkeitsform geht. Dieses helle a kennzeichnen wir mit à: I wàr gern zMinga gwen (Ich wäre gern in München gewesen). Wenn der Baier aber sagt moing wàr i zMinga, heißt das zwar nichts anderes als morgen wäre ich in München, meint damit aber morgen bin ich in München.

Wer kennt folgende Situation nicht: Es klingelt an der Tür, Sie gehen an die Sprechanlage und hören: Da Bosbod war då. Wo es doch offensichtlich ist, dass der Postbote nicht bloß da wäre, sondern auch da ist. Er hätte selbstverständlich auch sagen können da Bosbod is då. I bin då ist genauso bairisch und heißt im Grunde das gleiche wie i war då. I dàt iatz ofanga heißt ja auch nichts anderes als i fang iatz o. Und wenn man nachher fertig ist muss es weder heißen ich bin fertig, noch ich habe fertig, sondern I wàr fertig.

Mit i wàr då sagen die höflichen Baiern in kürzester Form nichts anderes wie: Ich bin da, wenn Du mich brauchst, vorausgesetzt, ich störe Dich nicht und wenn Du grad Zeit hast und etwas mit mir anfangen kannst, dann stehe ich zur Verfügung aber bloß, wenn es keine Umstände macht. Weil dieser Konjunktiv im Bairischen so überaus höflich ist, kann er sogar klassische Höflichkeitsformen ersetzen. Nicht einmal das bitte braucht es da noch: Bitte sind Sie so freundlich und bringen Sie mir noch ein Bier? heißt auf bairisch kurz aber nicht weniger freundlich I griagad no a Bier! Soviel Höflichkeit bei aller praktischen Knappheit kennen viele unserer deutschen Nachbarn nicht, leider aber mittlerweile auch viele von uns Baiern nicht mehr. Die Tendenz geht eindeutig zu Fakten, Fakten, Fakten.

Löwenzahn
Soachbleame oder Bettbrunzer

Soachbleame oder Bettbrunzer: Wenn der Rasen Wiese macht
Rund 1.000 verschiedene Arten gibt es von der sonnengelben Blume, die im Schriftdeutschen schlicht Löwenzahn heißt. Die Botaniker unterscheiden in ihrer Fachsprache allerdings in ein Leontodon und in ein Taraxacum, jeweils mit zahlreichen Unterarten, und man kann den Eindruck haben, sie wissen selbst nicht so genau, was denn eigentlich was ist. Sicher ist nur: Der Name Taraxacum kommt aus dem Arabischen tarakshaqum, was soviel wie bitteres Kraut bedeutet (Löwenzahn schmeckt bekanntlich bitter). Leontodon wiederum ist nichts anderes als die gelehrt-griechische Übersetzung von Löwenzahn, ein Wort, das sich eindeutig auf die scharfgezackten Blätter der Pflanze bezieht.
Noch verwirrender und regional höchst unterschiedlich sind die zahlreichen deutschen Namen des Löwenzahns: Butterblume, Hundsblume, Kuhblume, Ringelblume oder auch Sonnenwirbel wird er im Norden und Westen des deutschen Sprachgebiets genannt. In Altbayern und Österreich heißt er dagegen Milischeckel, Milchdistel, Soachbleame oder Röhrlkraut. Die Herkunft der meisten dieser Namen liegt auf der Hand, ob sie nun nördlichen oder südlichen Ursprungs sind. Sonnenwirbel bezieht sich auf die sonnengelbe Blüte, Ringelblume auf den
Stengel, der sich ringelt, wenn er aufgespalten wird, Butterblume ist ein Reflex der Blütenfarbe und Milchblume, bairisch Milibleame oder Milidistel bezieht sich natürlich auf den weißen Stengelsaft und die distelartige Rosette der Pflanzenblätter.

Viel interessanter dagegen ist der bairische Ausdruck Milischeckel. Ein Wort gewissermaßen für den zweiten Blick: Die Milch vom Milischeckel macht nämlich auf der Haut braune Stellen – Scheckl oder Merl, wie der Baier dazu sagt; ganz ähnlich den Summermerln oder Summerscheckln, die auf schriftdeutsch Sommersprossen heißen. Das bairische Merl oder Mirl bedeutet ursprünglich soviel wie Dreckspritzer, lateinisch merda heißt der Kot, der Schmutz, merdella, der kleine (Dreck-) Fleck. Die Scheck(e)ln wiederum beziehen sich auf das schwarzweiß gescheckte Schachbrett. Das Schachspiel hat sich aus Arabien kommend im Mittelalter schnell in allen Ländern verbreitet. In Schach steckt der persische Schah (= König) drin. Schach ist also das königliche Spiel, das Spiel um den König. Im Italienischen wurde es zu scacco. Von den Schachbrettfeldern ist auch die viereckige Schachtel und das Verschachteln abgeleitet. Hochdeutsch umgelautet wird aus scacco Schäck oder bairisch entrundet Scheck.

Auch der Ausdruck Soachbleame erschließt sich recht schnell: Taraxacum officinalis ist nämlich eine Heilpflanze, die über eine ausgesprochen blutreinigende Wirkung verfügt. Schon seit dem 11. Jahrhundert wird Löwenzahnextrakt bei Leber-, Gallen-, Blasen- und Nierenleiden sowie Gelenkerkrankungen verabreicht. Nach der Anwendung spürt der Patient einen star-ken Harndrang. Deswegen sagt man zum Löwenzahn Soachbleame oder auch Bettbrunzer. Dessen zweiter Wortbestandteil brunzen übrigens heißt wörtlich einen Brunnen machen. Leider sind alle diese schönen Namen heutzutage kaum mehr gebräuchlich. Bei Löwenzahn weiß jeder, was gemeint ist. Wobei Löwe eigentlich die schriftdeutsche Form ist. In Baiern hat der Löwe (lateinisch leo) bavaroromanisch auch Leu geheißen. Aber Leu so sagen heute höchstens noch die Dichter. Ganz anders dagegen ist es mit der norddeutschen Pusteblume. Denn das niederdeutsche Pusten geht einem Baiern nach wie vor nicht recht über die Lippen. Wir brauchen einen Blaserer, mit dem wir die Samenfallschirme des Löwenzahns zum Schweben bringen.