Bayerische Geschichte(n), 19/2019: Die Welt zu Besuch in Oberammergau
Liebe Leserin, lieber Leser,
für Anton Lang, den berühmtesten Christus-Darsteller in der Geschichte der Oberammergauer Spiele, hätte auch alles anders kommen können – schließlich setzte man anfangs keine allzu großen Hoffnungen in sein Bühnentalent, auch wenn er wie so viele andere
Oberammergauer Kinder als kleiner Junge die Passion im elterlichen Garten nachspielte. Berühmt wurde der hauptberufliche Töpfer Lang vor allem, da er drei Passionsperioden durchspielen konnte, was kein anderer Christus-Darsteller vor ihm je geschafft hatte. Zudem war das nationale wie das internationale Medieninteresse an den Oberammergauer Spielen zu seinen Lebzeiten gigantisch. Im Dezember 1923 schaffte Lang es sogar auf die Titelseite des Time-Magazins. Auch in der Heimat wurde er verehrt und identifizierte sich so sehr mit seiner Rolle, dass er selbst in den Jahren zwischen den Passionsspielen Bart und Haare lang trug.
Gelegenheiten, sich das Passionsspiel versilbern zu lassen, gab es in all den Jahren reichlich, doch die Oberammergauer gingen nie darauf ein. Auch Anton Lang schlug ein Angebot, für ein Spiel in Amerika die Christusrolle zu übernehmen, aus. Die Gemeinde verfolgte eine andere Strategie und schickte eine Abordnung unter der Führung Langs im Dezember 1932 nach Amerika. Auf dieser sechsmonatigen Reise durch die wichtigsten Bevölkerungs- und Industriezentren ging es in erster Linie darum, sich zu präsentieren und Oberammergau in Amerika noch bekannter zu machen. Nach der Ankunft, bei der die Reisenden wie Stars empfangen wurden, erinnerte sich ein überwältigter Anton Lang, dass in den Straßen „Neuyorks“ der Verkehr angehalten werden musste, um die Oberammergauer Delegation passieren zu lassen. Höhepunkt der USA-Tour war der Besuch des Weißen Hauses inklusive präsidialem Empfang.
Mit zunehmender Bekanntheit der Oberammergauer Passionsspiele wuchs auch die Zahl der Besucher. Je mehr über die Spiele berichtet wurde, desto größer wurde das Interesse – zuerst im deutschsprachigen Raum, dann europa- und schließlich weltweit. Manche Gäste hielten Oberammergau jahrzehntelang die Treue. Und auch der europäische Adel kam nach Oberammergau. Zur Prestigesteigerung gehörte es schon bald, bei wichtigen Einwohnern, also Darstellern, zu logieren. Während der Spielzeit 1910 wohnten allein bei der Familie Lang 15 Habsburger. Nach dem Ersten Weltkrieg, der für viele Adelshäuser das Ende bedeutete, kamen die prominenten Gäste vor allem aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Kultur.
Alle zehn Jahre locken die Oberammergauer Passionsspiele Hunderttausende von Zuschauern in das kleine Alpendorf. Immer zur vollen Dekade werden zwischen Mai und Oktober in mehr als hundert Aufführungen die letzten sechs Tage im Leben Jesu dargestellt. Grundlage der Spiele ist ein Pestgelübde aus dem Jahr 1633: Sollte die Pest enden, so das Versprechen der Oberammergauer, dann würden sie das Leiden und Sterben Jesu regelmäßig im Ort nachspielen. Schon im folgenden Jahr fanden die Spiele zum ersten Mal statt und obwohl es damals überall in Europa solche geistlichen Dramen gab, ist es nur Oberammergau gelungen, diese Tradition bis in die Gegenwart hinein zu erhalten. Viola Schenz schaut in „Die Geschichte der Oberammergauer Passionsspiele“ hinter die Kulissen des weltweit erfolgreichsten Laienspiels.
- ISBN: 978-3-86222-316-9