Bayerische Geschichte(n) 13/2012: Ein einzigartiger Dachbodenfund
Liebe Leserin, lieber Leser,
als sich der Fotograf Ferdinand Pöschl 1908 im niederbayerischen Dorf Haimelkofen niederließ, fand er sich in einer Welt wieder, die von zwei sozialen Schichten geprägt war: zum einen die eingesessene, bäuerliche Dorfbevölkerung und zum anderen die zugezogenen, bürgerlichen Dorfbewohner, zu denen Pöschl selbst gehörte. Die unterschiedlichen Auffassungen von Wirklichkeit und Werten, die das Dorfleben bis hin zum Tod beeinflussten, zeigen sich deutlich in den Fotografien, die Pöschl in den folgenden Jahren von beiden Gruppen anfertigte.
Anhand des umfangreichen Bildmaterials wird klar, dass für die bäuerliche Bevölkerung besonders die Darstellung von Eigentum im Vordergrund stand, da hiervon die soziale Stellung innerhalb der Dorfhierarchie abhing. Mit künstlerischer Entfaltung hatten diese Aufnahmen freilich wenig zu tun: Was zählte, war eine gute Sichtbarkeit der präsentierten Geräte. Saubere Kleidung, Trinkkrüge sowie die eigens für den Fototermin ausgeliehene Dampfdreschmaschine erinnern weniger an einen Arbeitsprozess als vielmehr an eine gezielte Zurschaustellung von Besitz.
Ein anderes Selbstverständnis zeigt die Fotografie des Hofkirchner Lehrers Hans Grundl, der mit selbstbewusster Miene in die Kamera blickt. Entgegen dem Ideal der bäuerlichen Dorfbewohner setzt Pöschl bei der Inszenierung von Grundl und seiner Familie einen anderen Schwerpunkt. Der Einfluss des Lehrers stützte sich nämlich nicht auf den Umfang seines Eigentums, sondern vielmehr auf seine Bildung. Finanzielle Schwierigkeiten hatte er jedoch ebenso, sodass er wegen seinem niedrigen Gehalt im schuleigenen Stall nebenbei Kühe halten musste.
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Nach Pöschls Tod am 7. Mai 1914 gerieten seine Fotografien in Vergessenheit. Erst im Jahr 2003 wurden 178 alte Fotoplatten auf einem Dachboden in Haimelkofen wiederentdeckt. Die einmalige Aussagekraft der Schwarz-Weiß-Aufnahmen konnte dank digitaler Nachbearbeitung erhalten werden. „Die Arbeit, das Sach‘ und der Tod“ von Johann Kirchinger und Richard Stadler nimmt Sie mit auf eine eindrucksvolle Reise durch die dörflichen Lebenswelten vor dem Ersten Weltkrieg und lässt Sie die Zeit Ferdinand Pöschls hautnah miterleben.
- ISBN: 978-3-86222-088-5