Bayerische Geschichten 06/2025: Ein Wilderer-Drama
Liebe Leserinnen und Leser,
in seinem Roman „Hubertilied“ erzählt Konrad X. Oberleitner in eindrücklicher, kraftvoller Sprache die Geschichte des sanftmütigen Johannes und des Draufgängers Sebastian, die gemeinsam bei Johannes‘ Großvater auf dessen Bergbauernhütte aufwachsen. Elend und Hunger sind tägliche Begleiter – bis die zwei Waisenbuben zur alten Büchse von Sebastians Vater greifen. Halb aus Not, halb aus Abenteuerlust werden sie zu Wilderern. Doch ihre Schießkünste bleiben nicht unbemerkt und der alte Jäger macht Johannes ein unerwartetes Angebot: Er soll sein Jagdgehilfe und Nachfolger werden. Plötzlich stehen die beiden jungen Männer auf unterschiedlichen Seiten des Gesetzes – ein Konflikt, der sich immer mehr zuspitzt und ihre Freundschaft zu zerreißen droht.
Leseprobe
Ganz in der Früh hat der Großvater sich zum Nachbardorf aufgemacht, wo er etwas Geld hat verdienen können. Vor Einbruch der Nacht würde er nicht zurück sein, hat er den Buben gesagt.
Kaum war der Großvater zur Tür hinaus und außer Sicht, haben sich die beiden zum geheimen Versteck geschlichen und mit klopfenden Herzen die Flinte aus dem geölten Tuch geholt. Mit eingewickelt waren auch ein fest verstopftes Pulverhorn, der Ladstock und zwei Ledersackerl – eines mit Kugeln und eines mit Schrot.
Ganz vorsichtig öffnet der Sebastian das Pulverhorn. Vom Vater weiß er noch, wie man die Flinte stopft. Aber wie viel Schießpulver genau in den Lauf muss, das weiß er nicht mehr. Zu viel ist gefährlich, aber zu wenig reicht nicht. Auch der Johannes kennt sich da nicht aus. So lässt der Sebastian erst eine für ihn recht kleine Menge Pulver in den Lauf rieseln und drückt dann einen Pfropfen mit dem Ladstock vorsichtig hinterher. Schnell einigen sich die beiden, es erst mal mit Schrot versuchen zu wollen, und legen den Kugelbeutel beiseite. Die Schrotkörner rieseln in den Lauf und zum Schluss stopft der Sebastian noch etwas Stroh aus seiner Hosentasche mit dem Ladstock hinterher, wie er es vom Vater gelernt hat. Erwartungsvoll sehen sich die beiden an.
„Und was wolln wir jetzt jagen?“
„Ich weiß, wo wir Kaninchen finden könnten.“
„Pack mas?“
„Pack mas!“
Obwohl die Sonne noch nicht einmal hinter den Bergen im Osten ganz hervorblinzelt, sondern den Himmel erst im feurigen Morgenrot erleuchten lässt, ist es fast schon zu spät zum Jagen. Seis drum.
Der Johannes findet schnell den Pfad zum Kaninchenbau. Ganz behutsam schleichen sie sich auf nackten Sohlen das letzte Stück des Weges an. Und tatsächlich, sie haben Glück. Von ihrem leicht erhöhten Ansitz auf einem kleinen Felsen aus sehen sie einen Rammler und drei Zibben mit ihren Jungen äsen. Vorsichtig legt der Sebastian an. Den Atem angehalten, den Finger am Abzug, den Rammler fest über Kimme und Korn im Blick – und dann drückt er ab.
Ohrenbetäubend dröhnt der Schuss ins Tal. Im Nu sind die Wildkaninchen im Bau verschwunden und der Sebastian flucht mit schmerzverzerrtem Gesicht. Der Rückschlag der Flinte hat ihm den Gewehrkolben mit Wucht in die Schulter getrieben. Das würde einen dicken blauen Fleck geben. Aber während der Sebastian noch die Zähne zusammenbeißt, ist der Johannes schon behände vom Felsen hinabgeklettert und steht vor einem verletzt zuckenden Jungtier. Er hebt es mit beiden Händen auf und spürt die Wärme des kleinen Körpers. So klein.
Auch der Sebastian ist herabgeklettert und betrachtet seinen Jagderfolg. „Mia miassens hi macha.“
Flink hat er die Flinte abgelegt, den Hirschfänger aus der Hose gefischt, dem Hannes das Junge aus den Händen genommen und ihm die Kehle aufgeschlitzt. Jetzt hält er es an den Hinterläufen. Das Blut trieft auf die Wiesenblumen, die ihre Kelche noch geschlossen haben.
Recht kärglich ist die Beute und etwas kläglich fühlen sich auch die beiden Buben. Der Rammler wärʼ ihnen lieber gewesen.
Zurück in ihrer geheimen Höhle verstecken sie die Flinte und in ihren jungen Herzen fühlen sie sich beinahe schon wie richtige Wilderer. Bald liegen sie im Morgensonnenschein auf ihrer kleinen Wiese, die vor lauter blühenden Schusternägeln bläulich schimmert. Die Füße des einen gen Osten, die des andern gen Westen. Den Kopf jeder auf des Freundes Schulter, wie auf einem Kissen. Der Sebastian kaut versonnen auf einem Grashalm. Und der Johannes spürt die Strubbelhaare des Freundes an seiner Wange und seinen ruhigen Atem. Und beide blicken glücklich hinauf in des Himmels tiefe Blau.
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ISBN: 978-3-86222-528-6 €18,00

