Bayerische Geschichten 11/2025: Exil und Neuanfang
Liebe Leserinnen und Leser,
mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 setzte die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung ein. Aus der Gesellschaft gedrängt, stellte sich für viele die Frage: Wohin gehen und wie neu anfangen?
Seit Mitte der 1980er Jahre spürt der Journalist Thomas Muggenthaler bayerisch-jüdischen Schicksalen nach. Er führte Gespräche mit Emigranten in Israel, den USA und Argentinien, aber auch mit Shoah-Überlebenden, die nach ihrer Befreiung jüdisches Leben in Bayern wieder aufbauten. Facettenreich erzählen die 34 hier versammelten Geschichten von den Schwierigkeiten der Emigration, von Verlusten, von Brüchen in der Biografie, aber auch von Mut, Überlebenswillen und Neubeginn.

Der gebürtige Chamer Ernst Schwarz emigrierte 1938 gemeinsam mit seiner Frau nach Palästina. In Kfar Yedidia, einer Siedlung nördlich von Tel Aviv, begann für den jungen Mann, der in Deutschland zwei Semester Jura studiert und anschließend im elterlichen Geschäft gearbeitet hatte, ein völlig neues Leben, das von der harten, ungewohnten Arbeit in der Landwirtschaft geprägt war. Während seinem vier Jahre älteren Bruder Fritz ebenfalls die Emigration nach Palästina gelang, wurden seine Mutter wie auch die Eltern seiner Frau Opfer der Shoa. Trotzdem kehrte Ernst Schwarz später zu Besuchen in seine Heimatstadt zurück. Sein Leben in Israel empfand er nie als „Exil“: „Ich lebe nicht im Exil. Wir leben in einer neuen Heimat, […] die uns sozusagen das Leben gerettet hat.“

Der Großteil der jüdischen Emigranten aus Deutschland suchte Zuflucht in Palästina und in den USA. Viele emigrierten aber auch nach Südamerika. Dort war Buenos Aires, eine moderne Großstadt mit europäischem Standard, das begehrteste Ziel. Rund 45.000 deutsche Juden kamen nach Argentinien. Einer von ihnen war der gebürtige Münchner Segismundo Scharff, der 1936 mit 19 Jahren die Überfahrt mit dem Schiff wagte. Nach und nach trafen auch seine Großmutter, seine Eltern und seine beiden Schwestern in Argentinien ein. Die Auswanderung bedeutete für die einst wohlhabende Familie zunächst einen harten sozialen Abstieg, vor allem den Eltern Scharff fiel der Neuanfang schwer. Segismundo und seiner Schwester Anneliese gelang es jedoch, in der Fremde Fuß zu fassen. Er wurde Geschäftsführer einer großen Fabrik und machte sich später selbstständig, sie stattete als Modistin die bessere Gesellschaft mit Hüten nach europäischer Mode aus.

Paul Oettinger wurde am 10. Juli 1922 in Regensburg geboren. Sein Vater Dr. Fritz Oettinger war Rechtsanwalt, Stadtrat und zeitweise Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde, also eine bekannte und anerkannte Persönlichkeit in der Stadt. Die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 kam für den Vater wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Während Fritz Oettinger ins KZ Dachau gebracht wurde, wurde sein 16-jähriger Sohn bei einer Art Schmähprozession mit anderen durch die Stadt getrieben. Nach der Rückkehr Fritz Oettingers aus dem KZ entschloss sich die Familie zur Emigration. Paul reiste im Januar 1939 nach Palästina, wo seine Schwester Lotte bereits seit zwei Jahren lebte. Seine Eltern retteten sich nach England und kamen 1945 ebenfalls nach Palästina. 20 Jahre lang lebte Paul Oettinger, der sich in seiner neuen Heimat „Shaul“ nannte, in einem Kibbuz, bis er schließlich nach Deutschland zurückkehrte. Ab 1961 wohnte er in Köln und lehrte Hebräisch, Literatur und Geschichte.
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ISBN: 978-3-86222-523-1 €24,90

