Bayerische Geschichte(n), 25/2015: Schwabing leuchtet
Liebe Leserin, lieber Leser,
zu Schwabing gehören die Bohème und das wilde, süße Leben. Schwabing war das berühmteste Künstlerviertel des Kaiserreichs, im Zeitalter autoritärer Zensur mit Abstand der liberalste Ort in Deutschland. „Schwabing ist kein Ort, sondern ein Zustand“, befand Fanny Gräfin zu Reventlow, selbst eine der schillerndsten Protagonistinnen der Schwabinger Bohème. Weitaus weniger bekannt dürfte die Tatsache sein, dass Schwabing einst auch in technischer Hinsicht eine Vorreiterrolle innehatte. In der Maschinenfabrik von Joseph Anton von Maffei wurde die erste bayerische Lokomotive hergestellt: Im Jahr 1841 ging sie von der Hirschau aus auf Probefahrt. 1864 konnte die Fertigstellung der fünfhundertsten und zehn Jahre später der tausendsten Lokomotive gefeiert werden. Da die Fabrik jedoch über keinen Gleisanschluss verfügte, war der Transport der fertigen Lokomotiven quer durch den Englischen Garten und das dörfliche Schwabing bis zum Münchner Hauptbahnhof ein schwieriges Unterfangen: Der Lärm der als Zugmaschine eingesetzten Straßenlokomotive machte Pferde und Zugtiere scheu.
Die rasante Entwicklung des Dorfs Schwabing zu einer Gemeinde mit moderner Infrastruktur führte im Jahr 1887 zur Stadterhebung. Noch im selben Jahr konnte der Bürgermeister das neu erbaute Rathaus an der Schwabinger Landstraße, der heutigen Leopoldstraße, beziehen und weitere zwei Jahre später führte die Stadt Schwabing – noch vor München – die elektrische Straßenbeleuchtung ein. Während die Münchner Stadtväter mit langfristig abgeschlossenen Verträgen an eine Gasgesellschaft gebunden waren, hatten die Schwabinger ganz auf innovative Technik gesetzt. Größter Fürsprecher der Elektrifizierung Schwabings war Magistratsrat Ludwig Petuel, der sich gleichzeitig von der Firma Einstein eine elektrische Anlage in den Keller seiner Schwabinger Brauerei bauen ließ, durch die neben der Brauerei auch die Gastwirtschaft beleuchtet wurde.
Am 26. Februar 1889 fanden die Feierlichkeiten „anlässlich der Übergabe der elektrischen Zentrale an die Stadt Schwabing“ statt, an denen auch eigens aus München „angereiste“ Ehrengäste teilnahmen. Nach einem Feuerwerk und einer Ovation auf den Prinzregenten fuhr man in einem Korso mit 150 Wagen durch das hell erleuchtete Schwabing, das nun beinahe aussah wie eine amerikanische Großstadt. Ziel der Fahrt war die Salvatorbrauerei Petuel, wo das Festprogramm mit einer „Familienunterhaltung mit Musik- und Gesangsvorträgen“ endete. Aber auch die Stadt München hatte der Firma Einstein, die einem Onkel des späteren Physikers Albert Einstein gehörte, bereits einen großen Auftrag erteilt: 1886 sorgte sie für die Illumination des Oktoberfests. Den überaus lukrativen Auftrag für die Elektrifizierung der Stadt München sollte Einstein dann allerdings nicht bekommen: Er betrieb seine Anlagen mit Gleichstrom und konnte sich nicht gegen die Nürnberger Firma Schuckert durchsetzen, die schon früh auf Wechselstrom gesetzt hatte.
Im achten Band der vom Stadtarchiv München herausgegebenen Reihe „Zeitreise ins alte München“ zeichnen Michael Stephan und Willibald Karl die Geschichte Schwabings von seiner Erstnennung im Jahr 782 bis ins 20. Jahrhundert hinein nach. Die historischen Fotos stammen aus den Beständen des Stadtarchivs und wurden zum Teil noch nie veröffentlicht.
- ISBN: 978-3-937200-77-4