Bayern genießen: Bier. Vom Reinheitsgebot bis zur Kopfüberzapfung
Bayern genießen: Bier. Vom Reinheitsgebot bis zur Kopfüberzapfung

Die kleinste mobile Brauerei der Welt.
Beim Schäffler Bräu in Missen wird jeder zum Braumeister
Marianne Bitsch

„Happy birthday to you“, singt die ganze Runde und hebt das Glas zum „Prost auf den Erich“. Das Geburtstagskind kann gerade den ersten Schluck nehmen, dann ruft Braumeister Dieter Graßl zur Arbeit: Erich soll das Malz in den Sudkessel schütten. Es riecht nach Malzbonbon und der Brauhelfer staunt über die Menge: für 100 Liter Bier braucht man 18 Kilogramm Malz, also für 50 Liter immerhin noch neun Kilo, erklärt der Braumeister. Zum 60er braut Erich sein eigenes Geburtstagsbier – ein Geschenk der Freundesrunde am Tisch. Möglich macht es die kleinste mobile Brauerei der Welt, wie ein Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde 1996 bestätigt. Die Anlage mit dem blitzenden Kupferkessel ist etwas größer als ein Wirtshaustisch und steht im Brauereigasthof Schäffler in Missen-Wilhams im Oberallgäu.
Braumeister Dieter Graßl hat die Minibrauerei auf Rädern gebaut und damit schon auf der Grünen Woche in Berlin und auf der Allgäuer Festwoche in Kempten Bier gebraut. Diesmal soll ein „Gold“ entstehen, das Lieblingsbier des Geburtstagskinds. Während die Maische erhitzt wird, erklärt Dieter Graßl den Brauvorgang, der in der Minibrauerei so abläuft wie in den großen Kesseln im Schäfflerbräu gleich hinter dem Gasthaus. Es ist ein echter Familienbetrieb: Hanspeter Graßl ist für das Unternehmen zuständig, unterstützt von Ehefrau Claudia und Bruder Dieter Graßl als Braumeister. Mit Florian Graßl arbeitet schon die nächste Generation im Betrieb. Den Namen trägt die Brauerei nach dem Gründer, dem Brauer und Gastwirt Johann Baptist Schäffler, der 1868 das Brauhaus in Missen gebaut hat. Ein halbes Jahrhundert lang leitete Franz Anton Schäffler die Brauerei.
Der Urgroßvater der heutigen Brauereichefs hat als innovativer Unternehmer den Grundstein dazu gelegt, dass „Schäffler Bierspezialitäten“ im ganzen Allgäu einen guten Ruf haben. Ihm zu Ehren wird das „F. A. Schäffler Triple“ gebraut, ein Bier für besondere Anlässe, das monatelang reifen darf und für das Hefe aus einem Trappistenkloster verwendet wird. Ingo Burger, Wirt im Brauereigasthof, und sein Küchenchef Simon Frey bereiten damit die geschmorten Rindsbacken, ein Spezialrezept des Hauses. Das Rind stammt von einem heimischen Biobauern: Die Wirtsleute Felicitas und Ingo Burger und die Brauerfamilie setzen auf regionale Produkte, Fleisch aus artgerechter Aufzucht und sind Mitglied im Verbund „Landzunge“.
Der Brauhelfer Erich darf allerdings nicht lange beim Essen sitzen bleiben: die Maische muss in den Läuterbottich gepumpt werden. Später kommen noch Bitterhopfen, Aromahopfen und Hefe dazu. In sechs Wochen sind die 50 Liter Geburtstagsbier trinkfertig und Erich und seine Freunde können dann mit dem selbst gebrauten „Gold“ anstoßen.
Einblick in die Kunst des Bierbrauens geben auch die beliebten Sudabende mit der Minibrauerei. Der Braumeister beantwortet dann Fragen zu Hopfen und Malz oder sogar zum Bierbauch: Der Ranzen kommt nicht vom Bier, erklärt Dieter Graßl, denn das flüssige Gold hat weniger Kalorien als Wein oder Limo. Aber es macht Appetit. Zum Glück gibt es rund um Missen ausreichend Gelegenheit, die Kalorien abzuarbeiten. Der Urlaubsort liegt auf 854 m Höhe im Bergstättgebiet mitten in den Allgäuer Voralpen. Eine Traumaussicht auf das Panorama der Allgäuer Gipfel bietet der breite Bergrücken des 1.235 Meter hohen Hauchenbergs. Familien können die Wanderung mit einem Besuch des Bergbauernmuseums im Nachbarort Diepolz verbinden, mit einem Heustock zum Hineinhüpfen und lebendigen Tieren eine Attraktion für Kinder. Im Winter werden in Missen und im benachbarten Loipenparadies Knottenried-Diepolz die Loipen präpariert und für Wanderer ist der erlebnisreiche Carl-Hirnbein-Weg nach Weitnau gespurt. Carl Hirnbein gilt als „Notwender“ im Allgäu, weil er im 19. Jahrhundert die Milch- und Käsewirtschaft förderte. In Missen ist dem berühmtesten Sohn der Gemeinde ein kleines Museum gewidmet.

Die mobile Brauerei in Bayern genießen:Bier
Die mobile Brauerei, bereit für den nächsten Einsatz

Aufgemerkt

Brauerei & Brauereigasthof Schäffler
Hauptstraße 15/17
87547 Missen
Tel.: 08320 / 9200 (Brauerei)
Tel.: 08320 / 92015 (Gasthof)
www.schaeffler-braeu.de
Gasthof: Tägl. 09.00 – 24.00 Uhr
Warme Küche: 11.00 – 21.30 Uhr

Rezepttipp von Brauereichef Hanspeter Graßl:
Rindsbacken geschmort in „Franz-Anton-Schäffler-Triple“

Für vier Personen 2 – 3 Rindsbacken (je nach Größe)
2 Schalotten
1 gelbe Rübe
1 kleine Lauchstange
1 Stück Sellerie
1 EL Tomatenmark
etwa 0,3 l Triple-Bier
0,7 l Rinderfond
Thymian
Lorbeerblatt
schwarze Pfefferkörner
Wacholderbeeren
Salz

Rindsbacken salzen und in Olivenöl oder Butterschmalz anbraten, aus dem Topf nehmen. Das klein geschnittene Gemüse anbraten. Tomatenmark einrühren und mit Bier ablöschen. Mit Rinderfond auffüllen, Gewürze dazu geben, Rindsbacken wieder einlegen. Zugedeckt ins vorgeheizte Rohr geben und bei 145 Grad etwa sechs Stunden schmoren lassen, bis die Backen zart sind. Weiches Fleisch herausnehmen, Soße um die Hälfte einkochen lassen, evtl. mit etwas Salz abschmecken.

 

Tradition, Gault Millau und Auswandererbier
Die Faustbrauerei Miltenberg
Katrin Küx

2012 ist ihr Jahr gewesen. Die kleine geschichtsträchtige Stadt am Main mit ihren verwinkelten Gassen und charmanten Ausblicken feierte ihren 775. Geburtstag: Miltenberg. Die – wie sie oft genannt wird – „Perle am Mainufer“ zieht jeden Sommer viele Touristenströme an und blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Sie handelt von Römern und Mainzer Erzbischöfen, von Hexenprozessen und Messetraditionen – und vom Bier. Seit dem Jahr 1654 wird im historischen Schwarzviertel Bier gebraut für die Bürger der Stadt. Und dort, wo sich auch heute noch kleine Fachwerkhäuser den Platz zwischen Mainufer und Felswänden streitig machen, liegt immer noch das Brauhaus. In der Hauptstraße 219. Heute ist auf den Etiketten „Faust“ zu lesen. Seit 1895 befindet sich das Unternehmen im Besitz der Brauerfamilie Faust und rühmt sich, die älteste Brauerei im Rhein-Main-Gebiet zu sein.
Die Geschäftsführer und Cousins Cornelius und Johannes Faust haben die Brauerei in den vergangenen Jahrzehnten zwar stark modernisiert, die Tradition steht aber vor allem beim Bier nach wie vor an erster Stelle. Von der gepflasterten Hauptstraße aus kann man dem Braumeister noch über die Schulter schauen – eine Glasfront lässt den Blick frei auf die großen Gärtanks. Da lässt es sich gut fachsimpeln, wann das Weizenbier wohl reif sein wird fürs Glas. „Mit unserer ausnahmslos offenen Gärung gehören wir wohl zu den letzten Dinosauriern unter den Bierbauern, aber wir sind stolz drauf!“, sagt Johannes Faust und erklärt, dass die Tanks im lichtdurchfluteten Weizenbierkeller noch von Hand gereinigt werden müssen. Bei geschlossener Gärung ginge das automatisch und das Bier wäre auch viel schneller reif. Bei den Fausts in Miltenberg darf sich das Bier aber noch die Zeit nehmen, die es braucht. Das Jungbier beispielsweise reift sechs Wochen lang in kalten Kellern vor sich hin, ohne Wärmebehandlung. Die Wege zum Verbraucher sind danach hingegen sehr kurz.
Die Faust-Cousins sind beide Braumeister – während Cornelius für Technik und Sommelier-Kunst zuständig ist, kümmert sich Johannes um Verwaltung und Marketing. 1992 hatten sie sieben Biersorten im Angebot, mittlerweile sind es zwölf. Hoch im Kurs stehen vor allem die Bierraritäten, die ausschließlich in 0,75-Liter-Bügelverschlussflaschen angeboten werden. Der vielfach prämierte „Eisbock 2010“ zum Beispiel, der ein Jahr lang im Kapellenkeller im Holzfass lag, war innerhalb kürzester Zeit ausverkauft. Immer wieder nachgebraut wird das Hochzeitsbier des Urgroßvaters Johann Adalbert, der seiner Angebeteten am Tag aller Tage ihr Wunschbier gebraut hatte. Nach viel Naturhopfen, wie sie es von zuhause in Eisenberg am Bach kannte, hatte sie verlangt. Auch heute noch riecht das Hochzeitsbier nach Hopfen, ist sehr vollmundig und gar nicht herb.
Johannes Faust geht voran in die heiligen Hallen des Brauereigewölbes, den Kapellenkeller. Der Name könnte aus dem 15. Jahrhundert stammen, als der Ort noch von Mönchen bewohnt wurde. Dass hier heute Biere reifen, passt irgendwie. 30 Meter unterhalb der Felsoberfläche warten die Böcke, das Jahrgangsbier und das Hochzeitsbier auf den richtigen Zeitpunkt. Und natürlich das Bier mit der längsten Geschichte – das Auswandererbier. Es greift zurück bis 1848, als Millionen Deutsche nach Amerika auswanderten und ein starkes und gehopftes Bier brauten, das die lange Reise über frisch bleiben sollte. Hopfen verhindert, dass sich Bakterien ausbreiten, Alkohol desinfiziert. Johannes Faust öffnet eine Flasche und schnuppert: „Das ist schon interessant beim Riechen. Beim Fruchtbouquet sticht vor allem die Litschi hervor. Zunächst ist es sehr vollmundig, dann wird es herber. Bei den Amerikanern ist das der Star unter den Bieren!“ 80 Bittereinheiten hat das Auswandererbier, das Faust-Pils gerade mal 32. „Wir wollen ein ehrliches und authentisches Bier brauen – bei einem dunklen Export haben wir auch wirklich verschiedene Malze verwendet“, erklärt der Braumeister.
Die Familie ist stolz darauf, die Stadtbrauerei Miltenbergs zu sein und pflegt – an der Grenze zu Hessen und Baden-Württemberg – die fränkisch-bayerische Bier- und Lebenskultur. Was im hessischen Nachbarland übrigens bestens ankommt. Sommergerste und Weizen kommen aus Franken, der Hopfen aus Bayern. Mit ihrer Bier-Philosophie haben die Fausts schon zahlreiche Preise abgeräumt, wie den „Preis der Besten in Gold“ der DLG, den „European Beerstar“ und aktuell die Aufnahme in den Gault Millau. In den vergangenen Jahren hat die Brauerei ihre Bierproduktion auf 42.000 Hektoliter jährlich gesteigert. Das ist gegen den Trend. Viele Brauereien im Umland mussten nach und nach schließen, haben ihren Umsatz halbiert oder fusionierten. Vielleicht liegt das Erfolgsrezept auch zum Teil an den zufriedenen Mitarbeitern, die im ältesten Betrieb Miltenbergs immer noch nach alter Tradition zwei Kästen Bier in der Woche als Haustrunk geliefert bekommen. Bei einer Brauerei-Führung können auch Besucher alle Raritäten des Hauses verkosten, und wer danach den Tag in Miltenberg kulinarisch ausklingen lassen möchte, den wird der Weg zum Schluss sicher noch in den „Riesen“ führen. Er gehört ebenfalls zur Faust-Familie und gilt als älteste Fürstenherberge Deutschlands. Hier hat im Februar 1368 schon Kaiser Karl IV. gespeist.

Aufgemerkt

Brauhaus Faust / Brauereiladen
Hauptstraße 219
63897 Miltenberg / Main
www.faust.de
Brauereiladen: April – Okt.: Mo – Fr 08.00 – 18.00 Uhr, Sa 10.00 – 16.00 Uhr, So 11.00 – 16.00 Uhr / Nov. – Dez.: Mo – Fr 08.00 – 18.00 Uhr, Sa 10.00 – 16.00 Uhr / Jan. – März: Mo – Fr 08.00 – 17.00 Uhr

Gasthaus Zum Riesen
Hauptstraße 99
63897 Miltenberg / Main
Tel.: 09371 / 989948
www.riesen-miltenberg.de
Mo – Mi: 11.00 – 24.00 Uhr, Do – Sa: 11.00 – 01.00 Uhr, So: 11.00 – 23.00 Uhr

Rezept zum Nachkochen aus der Traditionsgaststätte „Zum Riesen“:
Kochkäse

(90% der Waren im „Riesen“ kommen aus der Region. Das Essen, das Bier und der Wein spiegeln also die Besonderheiten Churfrankens wider.)

Für ca. 5 Portionen:
250 g Butter
200 g Harzerrolle
150 g Schmelzkäse
375 ml Sahne
12 g Natron
12 g Kümmel
eine Prise Salz

Butter, Sahne, Harzer und Schmelzkäse in eine große Metallschüssel geben, die Masse aufquellen und im warmen Wasserbad schmelzen lassen. Gelegentlich umrühren bis eine glatte, cremige Masse entsteht. Diese dann aus dem Wasserbad nehmen und Natron, Kümmel und eine Prise Salz unterrühren. Den Kochkäse anschließend etwas abkühlen lassen und als Brotaufstrich servieren. Guten Appetit!

 

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Unsere Reihe in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk: BAYERN genießen

Die schönsten Ausflugsziele, die kuriosesten Geschichten, regionale Spezialitäten-Rezepte und alles Wissenswerte rund um den Freistaat mit ganz besonderem Charakter. Im ersten Band der Reihe nehmen Huber und sein Journalisten-Team aus ganz Bayern den Leser mit auf eine Reise zu geheimen Kellern, kleinen Dorfbrauereien und so mancher versteckten Gaststätte. Die Vielfalt der bayerischen Feierkultur im Jahreslauf, die auch die Vielfalt der Regionen aufzeigt, ist Thema des zweiten Bands: Entdecken Sie die noch unverfälschten Feste und spüren Sie den spannenden historischen Hintergründen unserer bayerischen Feierlust nach!